Seit einem Jahr besucht mein Großer die Grundschule. Ich dachte, das ist eine gute Zeit, um Resümee zu ziehen. Wie geht es ihm? Wo steht er gerade? Hat sich nach meinem holprigen Einstieg in das deutsche Schulsystem der positive Trend weiter fortgesetzt? Kamen neue Beobachtungen oder Gedanken dazu? Welchen Einfluss hat das Schulwesen auf unser Familienleben?

1 Jahr Grundschulkind – mein Gedankenkarussell

Die Begeisterung halt an

Das ist der wichtigste Punkt, den ich gleich am Anfang betonen möchte: mein Sohn geht nach wie vor sehr gerne in die Schule, hat Spaß am Lernen und freut sich über sein neu erworbenes Wissen. Er erzählt gerne, was er gelernt hat und welche Aufgabe er gelöst hat. Wenn ich sehe, wie er sich in diesem Jahr entwickelt hat, bin ich total stolz auf ihn! Er kann schon alleine lesen und holt gerne neue Bücher aus der Schulbibliothek, ist total fasziniert von Buchstaben und Zahlen und löst leidenschaftlich kniffelige Aufgaben. Klar, auch er hat manchmal keine Lust, irgendwas zu schreiben oder zu lesen. Da er aber seine Hausis im Hort macht, hat sich das ganz gut eingespielt und ist dort zur Routine geworden. Zu Hause kontrolliert und bespricht der Papa die Hausaufgaben mit ihm und hilft, falls Unklarheiten herrschen. Das ist aber relativ selten.

Die Müdigkeit

Da die Schule fordert, dass die Kinder selber zur Schule laufen, muss mein Sohn bereits um ca. 7:15 Uhr starten, damit er kurz vor 8:00 Uhr in der Schule ist. Er läuft als erster in seiner Laufgruppe los und sammelt alle Kinder ein. Das heißt, er muss relativ früh aufstehen, um pünktlich anzukommen. Es gibt Phasen, in denen er total müde ist! Und ich meine nicht nur in den kalten, dunklen Wintermonaten, sondern auch z.B. jetzt, zur Sommerzeit. Dann ist er etwas anfällig, gereizt, unausgeglichen und apathisch. Wir versuchen ihn schon relativ früh ins Bett zu bringen (momentan zwischen 19:30 und 20:00 Uhr), aber manchmal kann er nicht einschlafen und wälzt sich noch lange in seinem Bett hin und her. Anhand dieser Symptome merken wir, dass er eine kleine Pause braucht um sich zu erholen. In solchen Phasen sagen wir am kommenden Wochenende alles ab und verbringen ganz gemütliche und ruhige zwei Tage zu Hause. Ohne Zeitdruck und irgendwelche Erwartungen. Spielen, essen, aufräumen, im Garten spielen, spazieren gehen etc. erfüllen unsere Tage. Dadurch können alle zu Ruhe kommen und unser Grundschulkind kriegt wieder mehr Power für die kommende Woche. Und dem 5-jährigen Kindergartenkind tut es natürlich auch gut!

Kopfkino

Wir haben uns immer wieder überlegt, warum unser großer Sohn nicht so einfach einschlafen kann – macht er sich um irgendwas Sorgen? Ist er traurig? Tut ihm etwas weh? Aber die Wahrheit ist: er ist einfach so ein Typ, der nicht locker loslassen kann. Das kennt Ihr bestimmt auch, oder? Mein Sohn ist schon immer sehr wach, erlebt Dinge wahnsinnig intensiv und tut sich mit dem Einschlafen oft schwer. Auf diesem Gebiet hat sich leider nichts verändert. Seine morgendliche Müdigkeit ist selbstverständlich eine Konsequenz davon.

Selbstständigkeit

Neue Herausforderungen bringen uns weiter und helfen, über den eigenen Schatten zu springen. So ist es auch im Fall meines Sohnes. Nach Außen wirkt er sehr schüchtern und zurückhaltend. Ich merke jedoch, dass ihn die Schule und seine neue Umgebung zur Selbstständigkeiten verhelfen. Er ist mental stärker und souveräner geworden, auch wenn ihn seine Zurückhaltung manchmal in Verlegenheit bringt. Er redet nicht so viel von seinem Schulalltag, wenn er oder sein Freund/seine Freundin aber eine Konfliktsituation hatte oder sich “in Gefahr” befand, erzählt er uns eigentlich immer davon. Uns gegenüber kann er seine Gefühle gut und offen äußern und das finde ich super und beruhigend!

 Loslassen

Auch wenn mein Sohn während der 1. Klasse richtig groß und selbstständig geworden ist, ist er doch immer noch mein Kind, mein Baby! Nicht nur er muss lernen los zu lassen und ohne seine Eltern in schwierigen Situationen klar zu kommen, sondern auch wir. Wir versuchen, ihm ein gewisses Sicherheitsgefühl zu vermitteln, damit er für eventuell schwierige Situationen vorbereitet und gewappnet ist. Denn wenn ich mir Sorgen um mein Kind mache, spürt es meine Unsicherheit oder sogar meine Verzweiflung.

Loslassen bedeutet in dem Fall auch einfach Vertrauen schenken. Ich vertraue darauf, dass mein 7-Jähriger bereits in der Lage ist, bestimmte Situationen selber zu meistern oder genug Mut hat, um mit uns darüber zu sprechen. Ich vertraue darauf, dass seine Erzieher ihren Job richtig machen und aufmerksam sind und dass sie sich bei Zweifeln oder Fragen mit uns regelmäßig austauschen.

Zwei Welten

Langsam merke ich, dass mein Sohn gerne seine kleinen Geheimnisse für sich behalten möchte. Er wollte jetzt gerade etwas sagen, ihm lag schon etwas auf der Zunge und dann hat er zum Schluss einen Rückzieher gemacht. Nicht, weil er mir nicht mehr vertraut, sondern weil er merkt, dass unsere Welten sich Schritt für Schritt voneinander entfernen. Er hat seine Kumpels und Freundschaften im Hort und viele seine Abenteuer möchte er für sich behalten. Weil eben eine neue Etappe in seinem Leben beginnt: mein Sohn wird groß und langsam wachsen ihm schon seine Flügel. Irgendwann fliegt er davon – ohne mich!

Schule-des-Lebens_1-Jahr-Grundschulkind

Ist jemand von Euch in einer ähnlichen Situation? Müsst Ihr auch noch lernen, los zu lassen oder habt Ihr diese Aufgaben bereits gemeistert?

Beitragsbild: Sung-Hee Seewald.