Wusstet Ihr, dass heutzutage die Mehrheit der Menschen in einer bilingualen Familie aufwächst? Das heißt, dass ein Großteil der Menschheit mit mehr als einer Sprache im Alltag konfrontiert wird, sie beherrscht oder wenigstens versteht. Beeindruckend, oder?
Doch die Bilingualität ist nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Oft bedeutet sie viel Arbeit, Konsequenz und Durchsetzungsvermögen. Denn nicht alle Sprachen haben den gleichen Status in der Gesellschaft und nicht alle Muttersprachler folgen erprobten Regeln. Dazu kommen manchmal auch sehr komplizierte Familienkonstellationen, bei denen sich die Sprachen, Dialekte und Wohnorte einfach oft vermischen oder wechseln.
Gelebte Zweisprachigkeit
Ich bin in der glücklichen Lage, dass es in meiner Familie „nur“ zwei Sprachen gibt: ich spreche mit meinen beiden Kindern ausschließlich Polnisch, weil es meine einzige Muttersprache ist, mein Mann hingegen spricht mit ihnen ausschließlich Deutsch. Wir leben in München und Deutsch ist die Umgebungssprache meiner Kinder. Die Situation ist also einfach, kann man meinen, weil es sich nur um zwei Sprachen handelt. Jedoch hätte die Bilingualität in unserer Familie nie geklappt, wenn wir nicht von Anfang an wichtige Regeln befolgt hätten.
Um die eigene Sprache weiter vererben zu können, muss man selbst die Sprache lieben! Sich darin wohl fühlen und sich mit ihr identifizieren. Die eigenen Gedanken, der eigene Geist und die eigene Seele sollten in der Sprache leben. Wenn man sich wegen der eigenen Herkunft oder Sprache schämt, kann die Mehrsprachigkeit kein Erfolg haben.
Deutsch als Minderheitensprache in Schlesien
Als ich vom Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit nach Oppeln eingeladen wurde, um zusammen mit der deutschen Konsulin in Oppeln Frau Sabine Haake über meine Erfahrungen mit der Bilingualität zu berichten, wusste ich nicht so richtig, was mich erwarten würde. Denn in Schlesien, der südwestlichen Region Polens, leben viele Angehörige der deutschen Minderheit in Polen und Deutsch ist dort als Minderheitensprache anerkannt. Dies bedeutet, dass die zahlreichen Menschen deutscher Abstammung, die aktuell in Polen leben, durch kulturelle und bildungspolitische Maßnahmen unterstützt werden. Auch ein ständiger Arbeitskreis ist zur Vermittlung der deutschen Sprache im Unterricht der Minderheitengebiete tätig. Die Personen, die der deutschen Minderheit angehören, haben das Recht auf deutschen Sprachunterricht und auf Unterricht in deutscher Sprache. Das erleichtert die Situation und bietet viele Möglichkeiten. Soweit die Theorie.
Trotzdem ist es dort für viele Menschen schwierig, mit den eigenen Kindern Deutsch zu sprechen. Das hat viele geschichtliche und gesellschaftliche Gründe.
Das Goethe Institut fasst wie folgt zusammen: „Polen, das Land mit der längsten deutschen Siedlungsgeschichte, leugnete nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit die Existenz einer deutschen Minderheit im Land – die immerhin noch 140.000 Personen umfasste, aber zur strikten Assimilierung gezwungen wurde. Erst Jahre nach dem politischen Umbruch 1989 verabschiedete das Parlament Gesetze, die den Deutschen Minderheitenrechte einräumten. Deutschsprachige regionale Zeitungen und kulturelle Vereinigungen wurden gegründet, seit dem Schuljahr 1992/93 gibt es sogar muttersprachlichen Unterricht an Grundschulen, dazu ein deutsches Gymnasium sowie eine deutschsprachige Universität.“
Für mich war das eine besondere Begegnung: ich erzählte über meine Erfahrungen und aus meiner Perspektive, wie ich meinen Kindern in Deutschland Polnisch beibringe und welche Regeln wir befolgen. Die Situation in Polen war für mich wie ein Spiegel – sie zeigte mir, wie es ist, wenn Deutsch nicht die Haupt- sondern die Minderheitensprache ist. Ich fühlte mich ein bisschen wie Alice im Wunderland, wo alles verdreht ist. Wo klein zu groß und schwarz zu weiß wird. Sehr interessant und spannend!
Liebe zur Minderheitensprache
Oft reicht ein kurzer Trip ins Ausland um die gelebten Werte und Regeln in einem anderen Licht zu sehen. Alles relativiert sich und man gewinnt eine neue Perspektive. Es tut gut einen neuen Blick auf die Dinge zu bekommen! Bis jetzt dachte ich, dass wir Polen es im Ausland mit der polnischen Sprache schwierig haben, weil sie leider mit bestimmten Berufen und Tätigkeiten assoziiert wird (siehe auch mein Artikel „Meine Putzfrau kommt auch aus Polen!“). Nun aber ist mir klar geworden: die Minderheit an einem Ort kann die Mehrheit an einem anderen Ort sein. Eine banale Wahrheit, die mich gestärkt hat, meinen eigenen Weg zu gehen und die vielen Auswanderern, Migranten und Minderheiten den Alltag erleichtern kann.
Und wenn ich einen Tipp geben darf, wie man die Kinder bei der zweisprachigen Erziehung unterstützt, würde ich sagen: fangt bei Euch selbst an! Lest Bücher in dieser Sprache, verreist in das Land, in dem die Sprache durch die Mehrheit gesprochen wird und trefft Menschen, die sich mit Euch und Euren Kindern in dieser Sprache unterhalten können. Ihr solltet Euch in Eure Minderheitensprache verlieben – nur so kann diese Liebe weiter gegeben werden. Und Eure Kinder werden es spüren und später danken, das verspreche ich Euch!
Ein von Dominika (@frommunichwithlove.de) gepostetes Foto am
Schöner Artikel.. das erinnert mich an meine Kindheit in Polen (1973 – 1981).
Ich komme aus (Ober)Schlesien. ?