Am 13. Januar 2019 ist mein Herz kurz stehen geblieben. Aus Trauer, Wut und Resignation. Ich habe mehrere Tage gebraucht, um es zu verstehen, zu begreifen und in der vollen Realität wahrzunehmen. Der Bürgermeister meiner geliebten Ostsee-Metropole Danzig (Gdańsk) wurde auf einer öffentlichen Bühne bei einer Charity-Veranstaltung niedergestochen. Genau in dem Moment, als das große Finale des Benefizkonzertes erklang, das sogenanntes “Licht zum Himmel”. Eine symbolische Geste, um ein Zeichen des Friedens zu setzen und als Danksagung an die Bürger, die so zahlreich Geld für einen guten Zweck gespendet hatten. Von den Spenden wird hauptsächlich modernes medizinisches Equipment für polnische Krankenhäuser, insbesondere für die Neonatologie oder Pädiatrie gekauft. Seit 25 Jahren gibt es diese gesamtpolnische Aktion “Großes Orchester der Weihnachtshilfe” (“WOŚP”) bereits.

 

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Der Bürgermeister Paweł Adamowicz verwaltete die Stadt seit 20 Jahren und war sehr beliebt. Er wurde in Danzig geboren und engagierte sich sehr stark für die Offenheit der Stadt. Sowohl ich als auch meine Schwester Kinga lebten mehrere Jahre in Danzig und diese Nachricht traf uns einfach direkt ins Herz. Und dann erfuhren wir, was Adamowicz kurz vor seinem Tod auf der Bühne gesagt hatte:

Danzig ist großzügig und verbindet sich mit dem Guten. Danzig will eine Stadt der Solidarität sein. Ich danke euch sehr dafür, dass ihr euer Geld in die Sammelbüchsen geworfen habt. Es ist eine wunderbare Sache, sich an die Seite des Guten zu stellen. Ihr seid wunderbar. Danzig ist die wunderbarste Stadt der Welt. Danke!

Danzig-die Stadt der Solidarität_Neptunbrunnen

Solidarisch mit Danzig

Als wir das Paradox und die ganze Traurigkeit und Dramatik dieser Situation begriffen hatten, stand für uns sofort fest: dieses Jahr werden wir unseren gemeinsamen Geburtstag in Danzig feiern! Nach unseren Kurztrips nach London, Berlin und Lissabon entschieden wir uns, unsere Heimat zu erkündigen. Als Andenken an den verstorbenen Bürgermeister und als unser privates Zeichen gegen Hass, Intoleranz und Gewalt. Und gleichzeitig als Anerkennung an diese wunderbare Stadt, deren Einwohner sich so würdevoll und solidarisch nach dem Tod ihres Bürgermeisters zeigten.

Danzig ist eine besondere Stadt auf der Europakarte. Eine Stadt, die zwischen Kulturen, Sprachen, Religionen und Ethnien hin und her gerissen wurde. Für gegenwärtige Polen bedeutet sie hauptsächlich der Beginn des Zweiten Weltkriegs (der deutsche Angriff auf die Westerplatte am 1.09.1939) und die Entstehung der oppositionellen Bewegung “Solidarność” unter der Führung von Lech Wałęsa.

Danzig-die Stadt der Solidarität_Altstadt

Neben allen diesen stürmischen und tragischen Ereignissen zeigte die Stadt einen besonderen Aspekt: die Freiheit ist die höchste Qualität des Lebens, für die man sich immer einsetzen muss! Diese Einstellung ist mir sehr nah und spiegelt meine Liebe für die Europäische Union wider!

Sehr schön beschrieb es Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates, in seiner Ansprache anlässlich der feierlichen Unterzeichnung des deutsch-französischen Vertrags von Aachen:

Östlich von Deutschland gibt es hunderte Orte, an denen der europäische Geist eines Ortes – der genius loci – genauso intensiv gefühlt wird wie in Aachen, Paris oder Berlin und an denen Millionen Menschen leben, deren Herz für Europa schlägt, für ein Europa der solidarischen und gleichgestellten Nationen. Ein solcher Ort ist mein Gdańsk.

Ich komme gerade von dort zurück, von der Trauerfeier für den ermordeten Bürgermeister meiner Stadt, Paweł Adamowicz. Er hat Gdańsk geliebt, er war ein polnischer Patriot und er war zugleich mit Herz und Seele Europäer. Er ist mutig für die Rechtsstaatlichkeit eingetreten, er hat Flüchtlingen aus echter Herzensgüte und nicht etwa deshalb geholfen, weil ihm jemand Quoten auferlegt hat. Und 20 Jahre lang hat er seine Stadt gestaltet. Zu seinen vielen Werken gehört das ausgezeichnete und lebendige Museum der Solidarność. Und er selbst war es, der darauf beharrt hat, dass das Museum “Europäisches Zentrum der Solidarität” genannt wird. Vor ein paar Tagen haben die Einwohner von Gdańsk ihren Bürgermeister an diesem Ort geehrt. Mehr als 50.000 Menschen haben viele Stunden in einer frostkalten Nacht ausgeharrt, um sich – sei es nur für eine Sekunde – vor seinem Sarg zu verneigen.

Europa existiert für solche Menschen und dank solcher Menschen. Arbeitet weiter daran, Europa zu stärken, lasst die Idee nicht sterben. Frankreich und Deutschland brauchen Europa im gleichen Maße, ganz ohne Unterschied genau wie Polen, Litauen, Bulgarien oder Irland. Denkt jetzt und in der Zukunft daran. Ich werde Euch jedenfalls immer wieder daran erinnern.

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Solidarisch für Europa

Mich hat diese Rede sehr bewegt! Meiner Meinung nach ist Tusk ein Wegweiser unter den europäischen Leadern der für eine gesunde Balance zwischen den west- und osteuropäischen Länder wirbt. Und so sehe auch ich ein bisschen meine Aufgabe als in Deutschland lebende Polin. Vielleicht klingt es für Euch übertrieben, aber ich sehe es ein bisschen, wie meine Mission: Mit meinem Beispiel versuche ich zu zeigen, dass es östlich von Deutschland auch andere Zivilisationen gibt, die eine bedeutende Rolle auf unserem Kontinent spielen. Kulturen, Mentalitäten und Länder, die ihrer Freiheit noch nicht satt sind, weil sie sie über Jahrzehnte vermissten. “Europa existiert für solche Menschen und dank solcher Menschen.”

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Als ich mit meiner Schwester in Danzig war, besuchten wir das “Europäisches Zentrum der Solidarität” (ECS). Das moderne und sehr interessante Museum handelt nicht nur von der Solidarność-Bewegung und der polnischen antikommunistischen Opposition in den 70. und 80. Jahren, sondern auch von Demokratie, Freiheit und Solidarität der heutigen, modernen Gesellschaften. Hier merkt man, wie sich die europäische Nachkriegsgeschichte umschließt, gegenseitig beeinflusst und zu neuen Handlungen bewegt. Eine sehr lebendige, interaktive und bewegende Ausstellung, die sich jeder Europäer anschauen sollte, um die Relativität und gesunde Proportionen seines Lebens nicht zu verlieren…

Um es deutlicher zu machen, was ich damit meine, kann ich noch das Schild zitieren, das am Eingang des Museums hängt: “Europe starts here!”.

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Ostsee-Metropole

Die Stadt liegt im Süden der Danziger Bucht und westlich der Weichselmündung. Die Spaziergänge entlang der Ostsee gehören zu den Sonntagspflichten aller Einwohnern! Besonders populär ist die Route zwischen Danzig und dem Ostseebad Zoppot. Genau diesen Weg ging ich mit Kinga, um ein bisschen frische Ostseeluft einzuatmen und ein paar Muscheln am Strand zu sammeln. Der frische Wind verjagt alle traurige Gedanken aus dem Kopf und der weiche Sand sorgte für Urlaubsfeeling!

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Ein Spaziergang auf der längsten Hafenmole (“Molo”) Europas in Zoppot ist ebenfalls ein Muss und ein beliebter Treffpunkt vieler Einwohner.

Danzig-die Stadt der Solidarität_Zoppot_Mole

Zu den Lieblingsspots in Danzig gehören auch die Mariacka-Straße mit vielen Bernstein-Ständen, Krantor, die bunte Langgasse, der Neptunbrunnen vor dem Artushof und die über der Stadt krönende Backstein-Marienkirche. Besonders empfehlenswert ist die frisch revitalisierte Ołowianka-Insel, die direkt hinter der Altstadt liegt. Besonders an lauen Sommerabenden kann man hier in zahlreichen Restaurants, Bars und Kneipen die schöne Atmosphäre der Stadt genießen! Und nebenbei kurz über die Geschichte Europas nachdenken und um das schönste Geschenk, das uns vorherige Generationen hinterlassen haben, zu schätzen und zu ehren: unsere Freiheit.

Danke Danzig für Solidarität und Freiheit!