“Mama, ich hole mal eine Breze”
Gerade vor ca. 3 Monaten schrieb ich einen Artikel darüber, als mein 5-jähriger Sohn das erste Mal ganz alleine für ca. 40 Minuten zu Hause blieb, und zack kommt der neue Schritt Richtung Selbstständigkeit. Mein Großer wollte nämlich alleine zum Bäcker gehen, um eine Breze und ein Semmel zu holen.
Ich war gerade dabei, den Kindern ihre Brotzeit für den Kindergarten vorzubereiten. Ich holte aus dem Rucksack das Lunchbag meines Sohnes und entdeckte das unberührte belegte Brot vom Vortag. “Leo, warum hast Du wieder nichts gegessen? Ich mache Dir jeden Tag eine leckere Brotzeit und sie kommt immer nach Hause zurück”. Leo zuckte mit den Achseln und schwieg weiter. “Magst Du das Brot nicht? Was würdest Du lieber essen?”, fragte ich verzweifelt. “Eine Butterbreze!”, antwortete Leo selbstbewusst und strahlend. “Na ja, die habe ich gerade nicht zuhause”, musste ich fest stellen. “Dann hole ich eine vom Bäcker”, sagte Leo und fing an, seine Schuhe anzuziehen.
“Was? Alleine zum Bäcker? Auf keinen Fall”, dachte ich mir. Und dann erinnerte ich mich an die Situation, als er selbstbewusst und überzeugt alleine zu Hause bleiben wollte, um in Ruhe spielen zu können. Damals klappte alles wunderbar, warum sollte es dieses Mal schief gehen? Der Bäcker ist doch nur um die Ecke und man muss nicht mal über eine Straße gehen. Leo kennt den Weg sehr gut und soll sich eigentlich nicht verlaufen.
Das waren die Argumente meines Verstands. Trotzdem hatte ich ein mulmiges Gefühl, ob ich das meinem 5-Jährigen wirklich zutrauen kann. Aber als ich ihn anschaute, als er sich anzog und voller Erwartung vor der Tür stand, entschied ich mich, das Abenteuer zu wagen. Ich gab ihm 2 Euro in die Hand, schaute tief in seine Augen und sagte: “Danke, dass Du mir hilfst, alleine hätte ich es nicht geschafft, weil ich mich und Deinen Bruder noch fertig anziehen muss”. Leo nickte und schon war er weg.
Kleiner Schreck und große Erleichterung
In der Zeit als er weg war kämpfte ich gegen mich selbst, und wäre ihm am liebsten im Schlafanzug hinterher gerannt, um zu sehen, ob alles gut geht 😉 Zum Glück klingelte es schon nach ein paar Minuten an der Tür und vor mir stand ein strahlender Junge. Er reichte mir eine Papiertüte mit den Backwaren. In dem Moment veränderte sich sein Gesichtsausdruck: “Mama, ich habe das Restgeld vergessen!”, gab er zu und fing fast an zu weinen. Oje, dachte ich mir kurz, vielleicht hatte ich ihn doch überfordert. Aber dann machte ich die Papiertüte auf und drinnen gab es noch eine kleine Tüte mit dem ganzem Restgeld, der Quittung und zwei kleinen Packungen Gummibärchen als Belohnung. Für Leo und für seinen Bruder natürlich! Der Bäcker kennt unsere Familie schließlich seit ein paar Jahren sehr gut.
Wie groß war die Freude und Erleichterung bei Leo, dass er alles richtig gemacht hatte! Sogar sein 3-jähriger Bruder hat ihn umarmt und war richtig stolz auf ihn! Die Gummibärle packte ich in meine Handtasche und versprach, dass die Kinder sie am Nachmittag beim Abholen essen dürfen. Es war nicht gerade einfach, sie zu überzeugen, aber dank der Aufregung, konnte ich sie gut ablenken 😉 Anschließend durfte Leo das Restgeld in seine Sparbüchse werfen.
Loslassen kann so schwierig sein
Und am nächsten Tag war Leos Lunchbag ganz leer, das heißt, er hat die ganze Breze aufgegessen. Inzwischen ist das Einkaufen beim Bäcker zu unserer morgendlichen Routine geworden – fast jeden Tag holt Leo frische Semmeln und wird immer selbstsicherer und selbstbewusster. Und der kleine Bruder bewundert ihm dafür noch mehr, denn er würde sich “so was” noch nicht trauen…
Habt Ihr solche Momente mit Euren Kindern schon erlebt? Wie seid ihr damit umgegangen? Richtig spannend wird es glaube ich, wenn die Kinder das erst Mal selber eine Straße überqueren oder sich an die Verkehrsregeln halten müssen. Spätestens ab dem Schulalter wird uns dieses Thema betreffen. So schön, aber auch gleichzeitig so schwierig!
Was für eine schöne Geschichte! Ich konnte alles nachfühlen 😉
Ich denke in schwierigen (für mich schwierig) Situationen immer daran, wie selbständig ich als Kind war. Ich fuhr mit 5 Jahren alleine Straßenbahn und klar lief ich auch zum Supermarkt. Ich weiss es waren andere Zeiten (und in Polen waren alle Kinder so selbständig) aber trotzdem. Es hilft mir 😉 Liebe Grüße!
Das stimmt Dorota, früher in Polen, aber auch bestimmt in vielen anderen Ländern, was alles andres als heute. Ob es jetzt besser ist? Das weiß ich nicht – eins ist aber sicher: irgendwann müssen wir alle unsere Kinder loslassen. Und manchmal tut es ein bisschen weh… Viele Grüße!
Oh je… Mir sind die Tränen vor Stolz gekommen! Und ich “kenne” euch noch nicht mal. Herzlichen Glückwunsch! Ist ja fantastisch!
Das ist aber lieb von Dir, vielen Dank! Heute wollte Leo doch zu Hause bleiben und er hat ein Toastbrot statt Breze bekommen 🙂
Dein Artikel hat mich sehr berührt. Nicht nur wegen der Geschichte, sondern auch, weil ich irgendwie finde, dass Du gerade in Deinen Texten beim Schreiben so einen tollen Sprung machst. Als würde alles besser zusammenpassen, als hätten die Wörter eine andere, zauberhaftere Reihenfolge. Was echt witzig ist, weil das Gefühl hatte ich bei Claire auch vor ein paar Monaten. Aber vielleicht ist das einfach so, dass wir Blogger immer wieder so sichtbare Sprünge machen. Danke für den schönen Texte und die Erinnerungen daran, wie es bei uns war zu dieser Zeit. Ich drück Dich aus der nahen Ferne. Svenja
Echt jetzt? Wow, das freut mich sehr! Vielen Dank für diesen Kompliment, das macht mich wirklich stolz! Es war mir wirklich wichtig, alle diesen Gedanken aufzuschreiben, um diese Gefühle zu behalten, um mich daran später erinnern zu können. Danke Dir, meine liebe!
Ich kann deine Worte sehr gut nachfühlen. Allein zum Bäcker lasse ich meinen Sohn noch nicht, weil eine viel befahrene Straße ohne Ampel zu überqueren ist, aber das mit dem Alleinlassen kenne ich auch. Das erste Mal habe ich ein heulendes Häufchen Elend zu Hause gefunden, als er mal 10 Minuten allein war. Und dieses Bild habe ich immer noch vor Augen, wenn er jetzt mal alleine bleibt. Mittlerweile klappt das aber schon sehr gut und ich bin mega stolz auf ihn!
Demnächst wollen wir mal versuchen, dass er allein in den Kindergarten geht. Ich weiß jetzt schon: ich werde tausend Tode sterben… aber da muss ich wohl durch…
Liebe Andrea, dann drücke ich Euch beiden die Daumen! 🙂